ein Pamphlet

Seit den Anfängen der Menschheit waren Menschen nie allein.
Doch jetzt entwickeln wir uns in eine Gegenwart, indem die Einsamkeit als selbstverständliche Grundvoraussetzung der Existenz erscheinen soll.
Nicht offen, nie ausgesprochen, sondern verdeckt mit einer Unzahl an „Angeboten“ von „Netzwerken“, in denen die Hoffnung auf menschliche Begegnung ins Virtuelle verschoben und dort niemals eingelöst wird.
Millionen bauen sich eine Individualitätsblase auf, die so speziell ist, dass so gut wie niemand dazu passt. Über was kann man denn noch reden, wenn jeder auf seinen eigenen Kanal fixiert ist?

Familiäre Beziehungen lösen sich unbemerkt auf; Alte werden in Pflegeghettos einer Versorgungsindustrie abgestellt, möglichst weit weg von den Angehörigen, endsorgt.
Die Angst vor dem Anderen wird zuhause vor Fernseher/ Internet in permanenter Krimiunterhaltung und der Terror- und Gefahrenlitanei immer weiter befeuert, so daß nur eines wichtig erscheint; daß man nie das Haus verlässt:
Nur niemanden ansprechen! Kein Kontakt zu anderen Menschen; Lebensgefahr!
Die Geschlechter werden in sexistischen Klischees gegen einander aufgebracht; wenn man da kein Pfefferspray oder die Waffe zur Hand hat läuft man Gefahr zum Opfer eines Gespräches mit einem Unbekannten zu werden!
Aber dagegen hat sich die Generation unter dreißig schon hermetisch mit dem Smartphone abgeschirmt; diese Generation lebt ja auch nicht mehr unter uns; sie ist nicht mehr verortet, sondern liked sich durch Bild- und Kommentarwelten, verbunden nur noch mit dem nächsten Hotspot. Sie selbst bezeichnet sich schon als „Generation beziehungsunfähig“– ein Bestseller.
Kinder kann/ darf man als Mann nicht mehr ansprechen, der Pädophilen wegen.
Sie „gehören“ auch in die KITA, wie die Alten ins Heim.
Weil menschliche Beziehungen generell als obsolet betrachtet werden, werden sie durch Haustiere oder „Prominente“ auf Bildschirmen ersetzt; Sie sollen eigene Gespräche oder Spiele ersetzen.

Jedes dieser einzelnen Individuen braucht nun eine Single-Wohnung, ein Auto mit Parkplatz, Single-Urlaub sowie eine „individuelle“ oder direkt gesagt „einsame“ Lebensplanung mit ausufernden Bedürfnissen, die eine permanente Wohnungs-, Arbeits- und Partnersuche zur Folge hat, mit explodierenden Kosten für den Betroffenen: Nur dafür ALLEIN zu sein.
Dazu hat sich ein psychotherapeutisches Auffangbecken im Gesundheitssystem etabliert, indem die Verzweifelten in massenhaften Einzelgesprächen dazu gebracht werden sollen mit diesem Fehlen des existentiellen Grundbedürfnis fertig zu werden; dieses als „individuelle Störung“ zu bewerten. Den Hilfesuchenden wird dann noch geraten sich „abzugrenzen“, obwohl da ja gar niemand mehr ist, von dem man sich das könnte…

Es hilft nichts: Menschen sind für diese Art von Wirklichkeit einfach nicht geschaffen!
Die Ausflüchte, die gesellschaftlich und wirtschaftlich als Reaktion darauf naheliegen sind Süchte; Spielsucht, Sexsucht (Deutschland als das Billig-Bordell Europas), Arbeitssucht.
Und natürlich Unterhaltung ohne Ende; man will es ja nicht spüren.
Die Politik sieht Vereinsamung nicht als Thema; den „Menschen in Deutschland geht es gut“ wenn Vollbeschäftigung herrscht. Punkt.
Wenn es jemand nicht gut gehen sollte, dann gehört eben ein Sozialarbeiter, Lehrer oder Polizist danebengestellt; Betreuungsrepublik.
Zwischenmenschlicher Kontakt gilt heute als die Aufgabe von Profis.
So wird menschliche Einsamkeit – selbstverständlich, und ohne darüber zu reden – zur Grundlage unseres „Zusammenlebens“ gemacht.

„Vereinsamung ist der faulende Kern in der Frucht einer Gesellschaft, die nur ihre makellose Oberfläche zeigen will.“

Um dies öffentlich zu artikulieren stehe ich heute hier! Konstanz, Marktstätte, 24.2.2018

V. i.S. d. P.: Christian Lord, St.-Katharinen Weg 5, 78465 Konstanz